Bist du eine "Rampensau"!?
Liebe Leserinnen und Leser,
ich hoffe sehr, Sie nehmen mir diese – etwas aufmerksamkeitsheischende – Einstiegs-Frage nicht krumm. Denn tatsächlich gilt dieser Begriff in der Speaker-Szene und der Schauspielerei durchaus als Anerkennung und nicht als Herabwürdigung. Da ich nun hoffentlich Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit genieße, gehen wir doch mal zusammen diesem Fachterminus auf den Grund:
Licht an, Spot auf „Die Rampensau – die Geheimnisse eines mysteriösen Bühnen-Getiers …“
Meine sehr persönlichen Erfahrungen mit Rampensäuen haben mittlerweile eine sehr differenzierte Haltung ausgeprägt. Diese speist sich einerseits aus meiner Vergangenheit als Schauspielerin – und andererseits aus der Annahme, dass ohne ein "Rampensau-Gen" keine ernstzunehmende Bühnen- oder Vortrags-Performance möglich sei. Als sicher gilt hingegen: Die Rampensau hat kein Gender-Problem. Etliche Frauen, Männer und intersexuelle Menschen heften sich das Attribut „Rampensau“ gerne als schmückendes Erkennungszeichen an das imaginäre Jackenrevers.
„Ich klatsche jedes Mal meine komplette Seele auf die Bühne.“ Ina Müller, Entertainerin, Sängerin, Moderatorin
Kennen Sie den Late-Night-Talk „Inas Nacht”? Die Fernsehsendung aus Hamburg Altonas ältester Seemannskneipe hat sich zu einer wahren Kultsendung etabliert. Wer zuschaut, erlebt eine temperamentvolle, witzige und wortgewaltige Frau. Die sehr wohl ihren Raum in dem mikroskopisch kleinen Lokal „Zum Schellfischposten” einzunehmen versteht. Ohne jedoch Ihren Talkgästen und den mit agierenden Künstlern den Raum zu nehmen oder sie an den Rand zu drängen. Im Gegenteil: Sie weiß die winzige Bühnenfläche – für sich und andere – großflächig und pointiert zu öffnen.
In meinen Jahren als Bühnenschauspielerin habe ich oftmals das krasse Gegenteil erlebt. Schauspielkolleg: bewusste Verdrängungsmechanismus eitler und über alle Maßen „Ich-bezogener“ Darsteller:innen nicht nur sprichwörtlich an der Bühnenrampe. Nach dem Auftritt kam das schauspielerische Talent in der Kantine dann erst richtig zur Geltung. Wort- und gestenreich wurde aus sämtlichen bühnentauglichen Nähkästchen zitiert, rezitiert und geschauspielert. Und zwar in einer Lautstärke, dass auf den Tischen die Teller nur so vibrierten.
Bühnenerfolg ohne "Rampensau-Gen"?
Auch wenn ich echte, "in der Wolle gefärbte" Rampensäue an einer Hand abzählen kann – und viele ausgesprochen faire und kollegiale Kolleg:innen als echte Teamplayer im klassischen Bühnenensemble oder bei Redner:innen-Veranstaltungen erleben durfte, bringt die Öffentlichkeit diese unüberhörbare Untermenge doch überproportional oft mit der gesamten Bühnenbranche in Verbindung. Dementsprechend hat sich umgangssprachlich für eine Rampensau die Erläuterung „als jemand, der im Mittelpunkt stehend und andere in den Hintergrund drängend (Auszug Duden)“ verfestigt. Um in der Lage zu sein, "durch seine Leidenschaft mitzureißen", bedarf es weder besondere Leidensfähigkeit noch das vermeintliche "Rampensau-Gen". Dies ist meine feste Überzeugung! Denn was machen diejenigen unter uns, die eher zurückhaltender und vorsichtiger auftreten? Und dennoch etwas zu sagen haben?
„Ich war nie eine Rampensau. Ich habe auf der Bühne eigentlich nichts verloren. Ich hab’s trotzdem gemacht, nach dem Motto >Ich bin dafür nicht geeignet, jetzt erst recht<“ Hannes Wader, Liedermacher (Zitat WDR5)
Entscheidend ist für mich vielmehr, dass Sie mindestens einen guten Grund haben, Ihrem Mitteilungsbedürfnis freien Lauf zu lassen. Egal ob im Kollegium, in einem Verkaufsgespräch oder in einem Meeting. Und weiterhin, ob ihre Initialzündung, Ihre Berufung für einen Vortrag, eine Rede oder Präsentation ausreicht – und für das Ansinnen, die wertvolle Zeit ihrer Zuhörerschaft selbstbewusst einzufordern.
„Wenn du Grenzen überschreitest, muss deine Pointe schon sehr gut sein.“ Aurel Mertz, Komiker, Moderator und Schauspieler
Was ist eigentlich das Gegenteil einer Rampensau? Im Internet habe ich eine sogenannte "Liste der Gegenworte" entdeckt. Dort wird für "Rampensau" lediglich ein Begriff aufgeführt: "Langweiler". Ein Langweiler soll ein Mensch sein – Zitat: „(…), der durch seine Langsamkeit, Unentschlossenheit andere ungeduldig macht“. Diese Zuordnung hat mich ehrlicherweise ziemlich erstaunt. Ich selber betitele mich weder als Rampensau, noch habe ich jemals das Feedback meiner Zuhörerschaft erhalten, langweilig zu sein. Wenn ein langweiliger Mensch also das Gegenteil einer Rampensau sein soll, verstehe ich die Welt nicht mehr. Wie sehen Sie das?
Woher kommt die Motivation, sich auf die Bühne, ins Scheinwerferlicht zu trauen?
Sich zu zeigen, sich zu präsentieren, – ob gewollt oder durch die Chefetage forciert, – schüttelt kein Mensch „mal eben aus dem Ärmel“. Selbst wenn Sie von sich sagen, dass Sie der „geborene Spaßvogel“ sind, haben Sie aus einem bestimmten Grund angefangen, sich „darzustellen“. Manchmal ist es der berühmte Zufall: die ersten Lacher, die sie im Kindergarten oder in der Schule für sich verbuchen konnten. Oder Sie haben aus Ärger und/oder tiefster Überzeugung einfach mal „eine komplett andere Meinung“ rausgehauen. Vielleicht auch einfach nur, um ein wenig zu polarisieren – und Zack gab es den ersten Applaus.
Das Gefühl, Applaus und Beachtung zu bekommen, fühlt sich nämlich recht gut an. Das gefällt introvertierten wie extrovertierten Menschen. Die Dosis macht bekanntlich das Gift. Doch Achtung: Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Denn ohne Zielgruppe, ohne Publikum nützt Ihnen auch die größte und schickste Bühne wenig. Und noch viel weniger nützt es ihnen, wenn „wer auch immer“ sie dazu pushen will, „doch einfach mal eine Rampensau zu sein“.
Was tun? Seien Sie ehrlich zu sich selbst und schauen Sie genau, was zu Ihnen und ihrer Persönlichkeit, zu Ihrem Stil passt. Experimentierfreude selbstverständlich mit eingeschlossen.
Ohne "Rampensau-Gen": Tipps zum Nachdenken und Vorbereitung
Vorbereitung: Bereiten Sie sich u. a. auf die anstehende Weihnachtsfeier, eine launige Betriebsfeier mit Sketch- und Showeinlagen vor?
Oder handelt es sich um die jährliche Kick-off Veranstaltung, eine Kundenpräsentation?
Was ist genau das Ziel Ihrer Rede, Ihres Auftritts oder Vortrags? Was darf oder sollte sich im Anschluss „in den Köpfen“ Ihrer Zuhörerschaft verändern?
Spezial-Tipp: Bitte auch immer den jeweiligen Kontext und die Zielgruppe beachten. Hierzu zähle ich die Bandbreite der Witze, den Humor und jegliche Formen der rhetorischen Stil- und Präsentationsmittel.
Vorbereitung ist alles, Übung erst recht!
Selbst wenn ein Komiker:in, Moderator:in oder Schauspieler:in von sich behauptet, eine Rampensau zu sein, darf ein wichtiges Detail nicht vergessen werden: sie alle haben sich mit unzähligen Probe- und Übungsauftritten das nötige Standing, das Durchhalte- vermögen und einen eigenen persönlichen Stil erarbeitet. Unabhängig davon, ob sich das vermeintliche "Rampensau-Gen" wirklich in ihrer DNS-Doppelhelix wiederfindet. Es sich nur um ein Fabelwesen handelt oder welches in der hintersten Ecke der Requisitenabteilung haust und sich von Lampenfieber ernährt …
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude bei der Ideenfindung, der Vorbereitung – und der krönenden Umsetzung!
Herzlichst, Ihre Esther Schweizer P.S. Ich übernehme keine Gewähr für die Aktualität, Richtigkeit und dauerhafte Gültigkeit der genannten Querverweise und Internetadressen (Stand: 8. Oktober 2022).
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