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AutorenbildEsther Schweizer

Einschulung. Erster Auftritt. Erinnerungen.


Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Schultag? Welche Gedanken und Gefühle verspüren Sie gerade? Erinnerst es Sie womöglich an Ihren allerersten öffentlichen Auftritt?

Ich sage es gleich zu Beginn. Der erste öffentliche Auftritt war ein Irrtum. Der Zweite in schmerzhafter Erinnerung …

Knapp ein halbes Jahrhundert durchlebe ich diese Erfahrung erneut. Eine Erfahrung, die einen großen Einschnitt in ein kleines Leben bedeutet und schaue gleichzeitig auf mich. Die Frau die ich heute bin, mit dem Blick auf einen dieser denkwürdigen Kindertage, an denen wir zwischen der Erwartungshaltung vieler Menschen stehen.

Es ist Sommer. Der Einschulungstag. Mein großer Tag.

Die Bankreihen sind gefüllt mit lärmenden Kindern. Meine Schultüte und ich setzen sich auf einen der hinteren Plätze. Schaue nervös in das Gesicht meiner zukünftigen Lehrerin. Die Spannung wächst. Nach und nach steht ein aufgerufenes neues Schulkind auf und geht auf die Bühne. Die Bankreihen vor mir leeren sich. Ich stehe auf, um noch besser zu sehen. Rücke schnell auf einen der vorderen Reihen vor. Eine Hand ergreift mich. Spüre meine kleinen Finger in einer großen Hand. Stehe mit einem Ruck auf der Bühne, alle Augen auf mich gerichtet. Höre einen Namen der nicht mein Name ist. Höre die Worte meiner zukünftigen Lehrerin, die nicht für mich sind. Sehe ein kleines dickliches Mädchen auf die Bühne zustürmen, spüre wie ich zur Seite und von der Bühne geschoben und mit meinem richtigen Namen wieder Platz nehme.

Ich weiß nicht wie ich jemals wieder auf die Bühne komme, weiß nicht wie ich jemals eine neue Schülerin sein kann. Das Alphabet fängt mit A an. Mein Nachname mit SCH. Das dauert. Dauert bis ich erneut auf der Bühne bin. Stehe dort mit meinen richtigen Namen, in der richtigen Reihenfolge. Es schmerzt. Diesmal ist es kein Irrtum.

Sie kennen das? Ist das rhetorisch gemeint? Nein. Gerade hat mir diese Frage ein mir bekannter Jemand zugeflüstert. Ein Jemand der mir bei meinem Tun über die Schulter schaut. Ein Jemand der jetzt vor der Aufgabe steht, den nächsten öffentlichen Auftritt erfolgversprechend selbst zu meistern. Genau genommen bereitet dieser Jemand den Einstieg in das neue Geschäftsjahr, mit einer Auftaktveranstaltung, einem „Kick off“ für Vertriebsmitarbeiter vor. Knallharte Jungs und ein paar sehr durchsetzungsfähige Damen.

Dieser Jemand fühlt bereits die erste Anspannung, die aufkommende Nervosität, den beginnenden Schmerz. Ich drehe mich um, schaue diesem Jemand jetzt sehr, sehr genau an und sehe plötzlich noch etwas anderes in den Augen. Etwas aufblitzendes Neues, ein Leuchten und sehe wie die zur Faust geballte Hand lustvoll nach oben prescht, sehe wie der Schmerz sich in einen Lustschmerz verwandelt und höre einen kraftvollen Lustschrei „JA, JA! Genau mein Ding! Ich gehe es an!“.

Schritt für Schritt nimmt mein Jemand die Herausforderung an. Setzt die sanft anleitende und planerische Arbeit an seiner Ausstrahlung, seiner Wirkung – seiner Sichtbarkeit, in Tatkraft um. Spürt die innere Kraft und die Ruhe und weiß mit einem Male, dass meine fordernden Fragen, ihn dabei unterstützen, sich zu zeigen! Er sagt es nicht nur, er weiß, dass meine Unterstützung Sicherheit gibt und er die bisher wenig glaubwürdige „Ober- Macher Rolle“ ablegen kann, wie einen schlecht sitzenden Mantel.

Der Jemand der den heutigen Mantel, um beim Bild zu bleiben, bestens ausfüllt, weiß viel genauer wie seine Persönlichkeit erstrahlt, ohne Andere in den Schatten zu stellen. Mutig, stolz und absolut präsent!

Dieser Jemand hat mich für eine überschaubare Zeit, als seine Lehrerin akzeptiert. Geduldig und oft auch impulsiv sind wir minutiös Schritt für Schritt die Präsentation durchgegangen. Deutlicher ausgedrückt, mein Jemand hat es geprobt. Dabei das „Auftritts-Konzept“ und seinen Vortrag auf Logik, Verständlichkeit, Zielgruppe und Vortragstauglichkeit genauestens überprüft. Immer die drei W's vor Augen „Wozu, warum und wie“. Fest im Blick die inhaltlichen und inszenatorischen Fragen rund um die Kernbotschaft. Ist der rote Faden erkenn- und nachvollziehbar? Stimmt die Aufbereitung der angedachten Inhalte? Stimmt die Struktur? Ist die Wahl der eingesetzten Bild- und Toneinspielungen richtig? Ist die Dosierung „Schmerz“ und „Schmerzlösung“ für meinen Jemand stimmig?

Das dieser Jemand diese Vorgehensweise bejaht, sich gedanklich bewusst der Bühne stellt, das Risiko eingeht, die Umsetzung seines Konzeptes zu durchleben, es auf Herz und Nieren zu überprüfen, und noch einmal durchzuspielen, ist unserer beider Gemeinsamkeit geschuldet, im Probenverlauf Fehler zuzulassen, um Neues zu entdecken.

Ich bin genauso wie mein Jemand ein Mensch. Ein Mensch, der knapp ein Viertel Jahrhundert, nach der denkbar schmerzlichsten aller ersten Bühnenerfahrungen, mehr als 20 Jahre auf den „Brettern die die Welt bedeuten“, gestanden und Erfahrungen jeglichen Kalibers gesammelt hat.

Und ich weiß heute, mit Blick auf mein Leben, dass mein erster Auftritt sich zwar wie ein Irrtum anfühlte, doch in Wahrheit meinem persönlichem Weg, die nötige Dosis Erfahrung vermittelt hat, um zu meinen durchlebten Schmerzen und zu mir zustehen.

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