Auch die Pause gehört zur Musik Zitat von Stefan Zweig
Liebe Leserin, lieber Leser,
habe ich Ihnen schon erzählt, dass ich nicht nur leidenschaftliche und überzeugte Radio-Hörerin bin – sondern mich auch jeden Morgen bevorzugt vom NDR Klassik Programm wecken lasse? Ganz besonders hat es mir die 30-minütige Sendung „Am Morgen vorgelesen“ angetan. Nach dem Hörspiel gibt es dann einen – eigentlich – harten Übergang zu den Nachrichten aus aller Welt. Geübte Moderatoren wissen aber, diese "stolperanfällige Stufe" gekonnt zu überbrücken und platzieren zwischen den einzelnen Beiträgen minimale, aber effektive Pausen – indem sie z.B. den letzten Satz der Hörspiel-Lesung ausklingen lassen und erst dann dem nächsten Thema (Nachrichtengeschehen, Vorschau) genügend Raum zum Erscheinen geben. Für diese kleine Zäsur, diese minimale Gedankenpause bin ich immer richtig dankbar. Erlaubt mir dieser Moment doch, mich über einen kleinen Gedankensprung (oder sogar nur einen Gedankenhüpfer) auf Neues einzulassen.
„Nichts bringt uns auf unserem Weg besser voran als eine Pause.“
Elizabeth Barrett Browning, engl. Dichterin
Mal ehrlich: Wie viele Präsentatoren und Redner mussten Sie schon erleben, die wie ein 50-Tonnen-Panzer „ohne Punkt und Komma“ über jede noch so nützliche Möglichkeit zur Rede- und Denkpause hinwegrasseln – und uns mit ihren Inhalten sprichwörtlich erschlagen. Eine echte Untugend, die sich in Gesprächen, Konferenzen, Kundenterminen immer weiter verbreitet – offline wie online.
Selbstverständlich sind auch unnötig überdehnte Sprechpausen genauso wenig förderlich für die gedankliche Aufnahme und Verarbeitung des Gesagten. Und dann gibt es natürlich auch noch die notorischen „Dazwischen-Redner“. Deren Unart wurde früher umgangssprachlich ziemlich treffend mit "Übers Maul fahren" bezeichnet. Sie sitzen wie Wort-Wilderer in ihren Verstecken und nutzen selbst die kleinsten Sprech- und Atempausen, um ihre Statements aus dem Hinterhalt abzufeuern. Wobei sich deren Informationsgehalt oftmals umgekehrt proportional zur an den Tag gelegten Dreistigkeit verhält. Stichwort "Manterrupting". Meinen dazugehörigen Blog-Artikel „Manterrupting - Jetzt rede ich!" finden Sie hier: Klick.
Mein Tipp –
der Gedankenstrich. Ob Sie Ihre Rede, ihren Wortbeitrag mit ein paar Notizen vorbereiten oder vorab mit einigen Stichworten ausformulieren, spielt keine Rolle. Entscheidender ist, dass Sie sich beim Schreiben ohne Berührungsängste an den Gedankenstrich heran wagen und einfach ein wenig mit diesem, so passend benannten Satzzeichen experimentieren. Der Gedankenstrich (–) ist etwas länger als der klassische Bindestrich (-). Doch will ich mal nicht so pingelig sein, wenn Ihnen das Drücken der entsprechenden Tastenkombination (Steuerung/Befehl und Minuszeichen. Mac Tastatur: [Alt]-Taste drücken. Taste gedrückt halten und zusätzlich Taste [-]) auf dem jeweiligen Endgerät zu umständlich erscheint. Immerhin bin ich keine Lektorin – und werfe natürlich ungefragt auch keinen Blick auf Ihren Redeentwurf.
„Wer schneller schwimmt, hat länger Pause.“
Franziska van Almsick, Schwimmerin – u.a. mehrfache Welt- und Europameisterin
Wie nun auch immer Ihr Gedankenstrich aussieht, dieser signalisiert Ihnen beim späteren Sprechen/Reden/Vortragen: „Halt! Hier ist eine kleine Gedankenpause“. Ungeübte und Schnell-Sprecher dürfen sich gerne etwas Zeit zum Verinnerlichen nehmen. Noch besser: Üben! Sprechen Sie Ihren Text inkl. Pausen laut und/oder zeichnen Sie ihn in der Vorbereitungsphase per Sprachaufnahme mehrfach auf.
Ich verwende dieses Pausenzeichen sehr gerne beim Sprechen, wenn ich zusätzliche Aspekte, eine neue gedankliche Perspektive oder Ähnliches mit einflechten möchte. Oder ganz profan, um Spannung zu erzielen.
Als Schauspielerin war dies – und bleibt es bis zum heutigen Tage – ein unverzichtbares dramaturgisches Stilmittel. Nicht nur für einen passablen Spannungsbogen. Es hilft mir auch, Emotionen aufzubauen und auszuhalten, um dem Publikum – und mir ebenfalls – Zeit und Raum zu geben, dem Gesagten nachzuspüren. Mit anderen Worten: Um Wirkung zu erzeugen.
Aber Achtung: Atmen nicht vergessen. Eine richtig gute Wirkpause füllt immer auch Ihren Sauerstoffvorrat im Blut wieder auf. Damit Sie nach dieser vermeintlichen "Nicht-Zeit" wieder voll konzentriert Ihren Fokus auf Ihr Publikum richten können.
Eine rhetorische Pause ist eben auch dazu da, der Zuhörerschaft Zeit und Gelegenheit zu geben, eigene Schlussfolgerungen zu ziehen. Ohne dass ich meinem Publikum ausschließlich mein „Gedanken-Konstrukt“ sprechend überstülpe.
„Pausen sind das Ass im Spiel des Lebens.“
@Billy – eigentlich Walter Fürst, Schweizer Aphoristiker
Ein etwas anderer Tipp: Das Talking Stick Ritual.
Vor vielen Jahren habe ich bei einer indianischen Medizinfrau in Kanada den Redestab (Talking Stick) kennengelernt und setze das dazugehörige Ritual (die Redestab-Runde) als besonderes Werkzeug für eine Zäsur oder Redepause seitdem gerne – und meist sinnbildlich ein. Entweder um mich innerlich zu disziplinieren, dem anderem Gesprächspartner nicht voreilig ins Wort zu fallen und/der dem Gesagten gebührende Aufmerksamkeit und Respekt zu zollen. Das klappt natürlich nicht immer – aber immer besser.
Redestab bei Wikipedia: (...) Mit Hilfe dieses Rituals werden auch politische und soziale Entscheidungen getroffen. Wenn alle Beteiligten „aus dem Herzen“ sprechen, wenn alles Wesentliche erkannt und gesagt ist, ist auch klar, was wie zu tun ist. Die Entscheidung entsteht sozusagen „aus dem Kreis“ (....).
Welche Wirkung die Redestab-Runde hat, durfte ich u.a. mit einer quirligen Gruppe wissbegieriger Kinder erleben. In der Lüneburger Theaterschule "e.novum" habe ich mit ihnen kleine Szenen inszeniert. Doch wie kreiert man aus einer kleinen Schar spielender und tobender Jungakteure ein Schauspiel-Ensemble? Als Redestab diente mir ein Stein (ja, ein profaner Stein). Mit ein wenig Übung (und Geduld meinerseits) haben sich dann schließlich alle auf dieses Ritual eingelassen. Mir läuft immer noch ein wohliger Schauer über den Rücken, wenn ich an die konstruktive Neugierde und die methodische Offenheit dieser Kinder denke. Es wurde sich zugehört. Abgewartet. Respektiert.
Sie dürfen es sich so vorstellen: Sobald ein Kind den Stein aus der Mitte nahm, auf seinen Platz zurückkehrte, seine Gedanken allen Akteuren mitteilte – und dann den Stein wieder zurück in die Mitte legte – konnte durchaus ein wenig Zeit vergehen. Erst danach kam ein anderes Kind an die Reihe. Glauben Sie mir: Das Kinder Ensemble war mächtig stolz auf sich – und die Premiere ein voller Erfolg.
Ich bin mir sicher: für das Redestab-Ritual hätten Sie bestimmt auch Verwendung! Probieren Sie es einfach aus, lassen Sie auf die Wirkung der Pausen ein. Mit oder ohne physisch vorhandenem Redestab. Auf Ihre Erfahrungen freue ich mich schon jetzt …
"Man sollte immer einen Plan B haben"
Nia Künzer, Fußballspielerin der deutschen Nationalmannschaft
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Herzlichst, Ihre Esther Schweizer
P.S. Quellenangaben und Verlinkung. Ich übernehme keine Gewähr für die Aktualität und Richtigkeit. Abgerufen und gesehen Oktober 2021.
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